Ich habe seit etwa fünf Jahren ehrenamtlich als Webmaster für die Dorfgemeinschaft Rehren A.R. eV gearbeitet. Dieses Amt habe ich mit sofortiger Wirkung zur Verfügung gestellt. Warum ist es dazu gekommen?
Ich habe mich in den letzten Tagen und Wochen intensiv auf einen Vortrag zum „Safer Internet-Day“ vorbereitet, der in diesem Jahr unter dem Motto steht „Keine Likes für Lügen – Erkenne Extremismus, Populismus und Deepfakes im Netz”. Diesen Vortrag soll(t)e ich am 12.02.2025 für den Verein in einer öffentlichen Veranstaltung halten.
Im Zuge der Vorbereitungen auf diesen Vortrag ist mir immer deutlicher bewusst geworden, wie wichtig das Thema digitale Souveränität insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland und der Welt ist. Diejenigen, die für die Verbreitung von Hass und Hetze, Lüge und Desinformation im Netz organisatorisch verantwortlich sind, die Plattformen betreiben und durch die Abschaffung von Kontrolle und Moderation sowie gezielte Manipulation von Algorithmen der Verbreitung von Hass und Hetze im Netz zukünftig auch noch verstärkt Vorschub leisten, haben bei der Amtseinführung des 47. Präsidenten der USA in der ersten Reihe gesessen. Mit ihren Spenden in insgesamt mindestens dreistelliger Millionenhöhe haben Sie dessen Wahlkampf und schließlich dessen Wahlsieg (mit)finanziert.
Wir wickeln unsere interne und externe Kommunikation und unsere Selbstdarstellung aber immer noch weitgehend über die Plattformen ab, die unter der Ägide dieser Herrschaften betrieben werden, obwohl uns alternativen zur Verfügung stehen und auch bereits genutzt werden – nur eben nicht von allen. Dadurch, dass wir den Plattformen unsere Daten zur Verfügung stellen, trugen und tragen wir weiterhin wesentlich zu deren wirtschaftlichem Erfolg bei. Alle bisherigen Nutzerinnen und Nutzer dieser Plattformen – egal ob Person oder Organisation – haben also diesen Wahlsieg in gewisser Weise mitfinanziert.
Und mit dem Wahlsieg ist es ja nicht vorbei. Die Plattformen werden durch das aktuelle politische System in den USA unter anderem auch dazu genutzt, ihre menschenverachtende Politik voranzutreiben. Die Tech-Oligarchen wie Musk, Zuckerberg und andere spielen dabei eine entscheidende Rolle. Jede Person oder Organisation, die deren Plattformen weiterhin nutzt, trägt somit dazu bei, dass sich dieses politische System aus massiven Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von Minderheiten, Ausgrenzung und Hass mit rasender Geschwindigkeit etablieren und ausweiten kann.
Wenn wir nicht aufhören können oder wollen, solche Systeme zu nutzen, sondern im Gegenteil auch noch neue Kanäle dort eröffnen, ich aber gleichzeitig in meinem Vortrag das Gegenteil propagiere, mache ich mich persönlich und auch den Verein unglaubwürdig. Ziel und Zweck meines Vortrags werden dadurch zweifellos konterkariert. Diesen Umstand will ich nicht mittragen und daher hatte ich mich entschlossen, den Vortrag abzusagen und gleichzeitig mit sofortiger Wirkung von meinem Ehrenamt zurückzutreten.
Wenn man meine obigen Gedanken konsequent weiterdenkt, müsste man möglicherweise sogar die Frage stellen, ob überhaupt und wenn ja wie die Nutzung solcher Kommunikationsplattformen mit der Gemeinnützigkeit eines Vereins in Einklang zu bringen sind.
Dabei sind durchaus Alternativen gegeben. Bestrebungen in Richtung einer digitalen Souveränität, also der Loslösung von den thymokratischen Meinungsmachern sind zum Beispiel im Projekt „Digitale Dörfer“ und der in diesem Zusammenhang entwickelten Dorffunk-App zu erkennen. Leider zeigen die Erfahrungen, dass man dieses Projekt wohl als gescheitert betrachten muss. In Sachen Nutzerzahlen und Reichweite reicht die Dorffunk-App nicht annähernd an die „etablierten“ Kommunikationskanäle heran. Hier wird ein weiteres Problem deutlich: Um eine solche Lösung zu nutzen, müsste ich ja meine digitale Komfortzone verlassen und mich diesem neuen Medium erst einmal zuwenden, mich möglicherweise ja sogar technischen und organisatorischen Problemen stellen. Aber warum sollte ich das tun, wenn doch die etablierten Kommunikationskanäle so gut funktionieren? Außerdem: Auf der neuen Plattform ist doch keiner, warum soll ausgerechnet ich also da hingehen?
Ich habe meine Überlegungen dann gestern Abend in der Vorstandssitzung dargelegt und erläutert. Die Reaktionen reichten von verhaltener Sprachlosigkeit über Gleichgültigkeit bis hin zu kompletter Negierung der Problemstellung. Es entbrannte – für mich erwartungsgemäß – eine heftige Diskussion, in deren Verlauf ich mich bereit erklärt habe, meine Entscheidung noch einmal eine Nacht zu überschlafen.
Heute habe ich dann die Entscheidung gefällt, dass ich die Gelegenheit des Vortrags nutzen werde, die Problematik in einem (hoffentlich) breiteren Teilnehmerkreis noch einmal darzustellen und meine Gedanken zu erläutern. An meiner Entscheidung, den Webmaster abzugeben halte ich jedoch fest. Ausschlaggebend für mich ist dabei die Tatsache, dass keine oder nur sehr geringe Bereitschaft zu erkennen ist, auf den Gebrauch von Whatsapp, Facebook, Instagram und Co. zu verzichten.